16/07/2007

Aus gegebenem Anlass


Doch freilich sind's die heißen Tage, die uns Sommerverächtern am meisten auf die Nerven gehen. Sofort reißen sich die Leute die Kleider vom Leibe und finden es offenbar völlig normal, in Unterwäsche Kunden zu bedienen, Kinder zu unterrichten oder Kirchen zu besichtigen. Das Geld, was sie an der Kleidung sparen, wird dann für Urlaube in bratpfannenheißen Ländern ausgegeben. Mit verkohlten Visagen kehrt man zurück, sieht aus wie die Kinder von Seveso, hält es dabei aber für erstrebenswert, wie das Opfer einer Giftgaskatastrophe auszusehen.

Die Unverkohlten werden getadelt: Man solle mal an die Sonne gehen und wie man bei so schönem Wetter in der Bude sitzen könne. Wagt man es dann, kleinlaut darauf hinzuweisen, daß Sonnenbäder die zweithäufigste Krebsursache nach dem Rauchen darstellen und daß man dann doch lieber rauche, wird man zum Miesepeter und Sonderling erklärt. (...) Und sonst? Was ist dran an wespenumschwirrten Abfallbehältern, schokoladeneisverschmierten Kindermündern und öffentlichen Bädern, wo einem die Kinder auf den Kopf springen und man Menschen beobachten kann, die nicht wissen, wie man im Liegen raucht?


Max Goldt, 1999: "Der Sommerverächter", S. 135-39 in: ders.: Die Radiotrinkerin. 5. Aufl. München: Diana, hier S. 137-38

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