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18/04/2014

Ich weiß ja nicht, mit wem Jan Fleischhauer so abhängt

Will Wilkinson meint, Mad Men sei für viele männliche Zuschauer so attraktiv, weil die Serie zu zeigen scheint, "how sweet it would be to have women take care of all the annoying details of life and smoke at work." Laut Jan Fleischhauer geht es vielen Deutschen mit mit Vladimir Putin ähnlich:
Nicht trotz, sondern wegen der Erziehung zu Pazifismus, Geschlechtersensibilität und fortwährender Antidiskriminierung ist ein Gutteil der Deutschen so fasziniert von Russland und seinem Anführer.

Putin steht für das unterdrückte Andere, das gerade, weil es so selbstbewusst und unverstellt auftritt, einen unwiderstehlichen Reiz ausübt.
Diese Erklärung wäre freilich überzeugender, wenn erst mal etabliert würde, dass der zu erklärende Tatbestand überhaupt zutrifft. Mir zumindest ist in Deutschland keine besondere Putin-Begeisterung aufgefallen.

Vielleicht täusche ich mich aber auch, und Fleischhauer hat recht. Das Problem ist, dass weder Fleischhauer noch ich valide Repräsentativdaten zu der Meinung der Deutschen über Putin haben. So hängt die Weltwahrnehmung dann von dem ab, was man so mitkriegt. Ein grundlegender Wahrnehmungsfehler der Menschen ist es, "das, was man so mitkriegt" für repräsentativer zu halten als es ist. Soziologen machen sich nicht deshalb so einen Kopf um Sampling-Probleme und Frageformulierungen, weil man so toll gelehrte Artikel darüber schreiben kann, sondern weil sie bemüht sind, über das Niveau der Alltagswahrnehmung hinauszugehen.

10/03/2013

Glück auf, Til Schweiger kommt: Die Tatort-Blitzkritik

Til Schweiger rennt, als ob er sich in die Hose gekackt hätte, und hat in weniger als fünf Minuten deutlich mehr als 10% der Kugeln verballert, die der deutschen Polizei pro Jahr zur Verbrecherbekämpfung zustehen, und man könnte auch sonst noch dies und das bemeckern, doch ich fand's knorke kurzweilig.

Ha, schneller als die Fernsehfreundin!

24/11/2011

Die wissenschaftliche Methode

Rumsitzen und Kaffee trinken.

17/06/2011

The Tree of Life: Eine Filmkritik

Terence Malick, Autor und Regisseur von The Tree of Life, hat in den siebziger Jahren mit Badlands einen Film vorgelegt, der vielen als Klassiker gilt, vielleicht, weil er es schafft, über seine gesamte Länge auf dem gar nicht mal so schmalen Grat zwischen Schönheit und Langeweile zu wandeln. Der neue Film, so viel ist offensichtlich, war gleich von vornherein als Meisterwerk angelegt; das Thema ist Gott (unter besonderer Berücksichtigung der Erdgeschichte). Das ist zunächst mal ein angenehmer Gegensatz zu den Ambitionen der meisten zeitgenössischen Künstler, die gerne z.B. von der kleinen bis mittelgroßen Liebe im Buchhaltermilieu erzählen. Doch wer hoch springt, kann tief fallen, und Malick fällt sehr tief. Er fällt und fällt, und während er fällt, geht ihm die Hose auf, der Pimmel kuckt raus; dennoch versucht er ein vorbeifallendes Weltgewicht zu stemmen und klemmt sich dabei den Ischias, weshalb er nicht bemerkt, dass er zwischenzeitlich eine Zwölffinger- und Enddarm-Kreuzverschlingung entwickelt hat, und als er schon längst auf der Erde angekommen und in zahlreiche Teile zerplatzt ist, da explodieren ihm auch noch die Schnürsenkel.

Es geht eigentlich ganz vielversprechend los: Die U.S.A., fünfziger Jahre, ein Kind stirbt, die Eltern trauen. Aber dann kommt erst mal Kontext per Rückblende, und dabei holt Malick ganz weit aus: Los geht es mit dem Urknall. Ich denke mir das nicht aus: Es geht wirklich mit dem Urknall los, Sterne explodieren, Lavaströme, trallala. Das ist drei Minuten lang ganz nett anzuschauen, aber diese Vorgeschichte dauert, schätze ich mal, etwa 40 Minuten; und spätestens als er in der Evolutionsgeschichte bei den Fischen angelangt ist, kommt sich der Zuschauer vor, als sei er eingeschlossen in einem Kabuff mit allen alten Ausgaben der Reihe GEO Spezial Natur & Kosmos, die er für immer durchblättern muss, und von links säuselt ihm eine gutmütig lächelnde alte Frau ins Ohr: "Gott ist Liebe" und zwei Minuten später: "Glaube mir, Gott ist die Liebe und das Licht!"

Nicht nur mir ist aufgefallen, dass das Modell für dieses Endlosvorspiel der erste Teil von Stanley Kubricks 2001 ist, in dem Kubrick die Raumfahrt in den menschheitsgeschichtlichen Kontext stellt, indem er erzählt, wie unsere Vorfahren das Prinzip des Werkzeugs entdecken: Ein Knochen wird nutzbar gemacht, um die Schädel von Konkurrenten um ein kostbares Wasserloch zu zertrümmern, triumphierend wird der Knochen in die Luft geworfen, und im bekanntesten Schnitt der Filmgeschichte scheint er sich in ein Raumschiff zu verwandeln. Bei seinem Versuch, mit Kubrick zumindest gleichzuziehen, hat Malick freilich etwas ganz entscheidendes übersehen: Kubrick, eine Art Ernst Happel des Kunstkinos, hat seine Sequenzen mit einer außerordentlichen Formenstrenge komponiert; Malicks Erdgeschichte wirkt wie eine Zufallsauswahl aus Sequenzen derjenigen Filmchen, mit denen die Hersteller von Plasmabildschirmen dem potentiellen Käufer zu demonstrieren suchen, dass die alte Röhrenkiste jetzt aber echt ausgedient hat. Zum Niveau der Bilder passt die Musik: Es steht zu vermuten, dass sämtliche zu hörenden Stücke einer CD namens "Die 20 schönsten Klassikmelodien" entnommen sind, die Malick per Telefon erstand, als er 1995 während eines Besuches auf unserem Kontinent nachts besoffen die Dauerwerbesendungen auf Eurosport gekuckt hat. Nicht so leicht erhältlich wie schlechte CDs sind bei uns Feuerwaffen, so dass man nicht Gefahr läuft, sich spontan im Kino zu erschießen.

So schafft man es bis zur Kerngeschichte. Also: Die Suburbs von Waco, Texas, in den fünfziger Jahren, eine Familie: Er Ingenieur und Pater Familias, sie Hausfrau mit großem Herzen, drei Söhne. Sein Erziehungsstil schwankt zwischen konservativ und sadistisch. Er erzählt den Söhnen, wie Leben geht: Immer besser werden wollen, sich nie auf andere verlassen, und immer wieder das Motto aus der Praktiker-Werbung: "Geht nicht gibt's nicht!" Wir erfahren auch bald, warum: Er wäre lieber Musiker geworden, hat aber als Kind nicht genug geübt, und jetzt müssen sich die Söhne sein Geschwaller anhören. Zwischendurch werden sie von ihm schickaniert, dass die Schwarte kracht, wahrscheinlich zur Abhärtung.

Der älteste der Söhne, selbst Inhaber eines nicht geringen Aggressionspotentials, lehnt sich auf. Dass das nicht direkt ins Happy End führt, wissen wir daher, dass er zwischendurch als Erwachsener gezeigt wird, wie er sich in einem grauen Büroturm umherbewegt. Sprechanteile hat der erwachsene Sohn, soweit ich mich erinnere, überhaupt keine, und daher muss man sagen, dass die Rolle mit Sean Penn idealbesetzt ist. Wenn der seine Furchenfresse in die Kamera hält, denkt jeder gleich: "Kombiniere! Vom Leben gezeichnet!"

Einen richtigen Plot hat der Film nicht, er ist vielmehr nach der Methode "Schlaglicht und Ellipse" erzählt. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn die Schlaglichter denn interessant wären. Mancher Kritiker hat den Film dafür gelobt, dass er das Phänomen Jungskindheit total authentisch darstelle. Das ist nicht unbedingt falsch, ich habe mich in meiner Kindheit zum Beispiel auch an Sachen erfreut, die Krach machten und verboten wären. Das heißt aber nicht, dass ich es rasend spannend finde, Kindern dabei zuzukucken, wie sie Fensterscheiben einwerfen.

Mitunter keimt im Zuschauer Hoffnung auf: Es könnte interessant werden! Der Vater fährt mit den Söhnen in ein Schwarzenviertel und ermahnt sie zur Anständigkeit gegenüber Schwächeren. Strafgefangene werden in Ketten durch die Stadt geführt, ein Sohn fragt: "Kann das jedem passieren?" Und dann bricht es ab.

So ist es auch gegen Ende der Geschichte: Der Vater wird, man kann es sich denken, entlassen. Dies führt bei ihm zu einer Art Nachdenken über seinen Erziehungsstil. Auch das währt aber nur zwanzig Sekunden. Dann wird der Bildschirm schwarz, ein Licht (Gott?) flackert, Sterne, und der Zuschauer denkt: Nich schon wieder! Diese Hoffnung ist vergeblich.

Das Gottes- und Schöpfungsbrimborium im letzten Teil des Films mündet in eine Szene, in der der erwachsene Sohn seinen nichtgealterten Vater an einem wolkenüberhangenen Strand trifft und entweder umarmt oder dies nur "mit den Augen tut", ich kann mich zum Glück nicht erinnern. An dem Strand wandeln, suchend, noch eine ganze Menge anderer Leute, vermutlich stellvertretend für die gesamte Menschheit: Symbolik auf dem Niveau von Lieschen Müller und ihrem Sohn Kevin-Justin. Das Ganze wirkt wie eine Parodie auf Religion aus der Bullyparade.

Man muss vielleicht religiös sein, um den Film gut zu finden, oder zumindest, vielleicht sogar noch besser: spirituell. Es darf aber nicht irgendeine Religiösität sein. Vielmehr:

"Du, kuck mal, der Käfer auf dem Blatt da!"

"Ja, schön, nicht? Irgendwie ist in dem Käfer Gott!"

"Ja, stimmt! . . . Au, au, kuck doch mal!"

"Oh, jetzt hat der Spatz den Käfer gefressen!"

"Ja, traurig. Aber irgendwie hat das auch seinen Sinn."

"Ja, stimmt. Komm, wir trinken noch einen Merlot."

"Ja. In Merlot ist Gott auch, irgendwie."

Ungefähr so.

18/04/2011

"Sonne, Wind und Wasser schicken keine Rechnung"

Vielen Dank, dass Sie das nur scheinbar komplexe Thema "Kosten des Atomausstiegs" so prägnant auf den Punkt gebracht haben, David McAllister. Hinzuzufügen ist nur noch der Grund, aus welchem die drei keine Rechnung schicken: Sie haben nämlich keine Zungen, um die Briefmarken anzulecken.

01/03/2011

Zur Feier des Tages: Amazon-Kundenrezensionen von Verfassung und Verfassungsvertrag

Seit Helene Hegemanns bahnbrechendem >Axolotl Roadkill< hat kein junger Nachwuchsautor mehr das literarische Collage-Prinzip derart radikal (gegen sich selbst und andere) angewandt. Auch die surrealistische ecriture automatique stand hier in völlig neuer, zeitgemäßer Form Pate.

Das Ergebnis ist ein monumentales Werk, wie wir es in seiner kompromißlosen Subjektivität, entwaffnenden Ehrlichkeit und dabei schier unglaublichen stilistischen Vielfalt kaum noch erwarten durften. Schlichtweg atemberaubend!

- Nicolas de Pigage

Wer hätte gedacht, dass es in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich ist, eine solch gewaltige spontane und affektive Reaktion durch einfache, fast minimalistische Aktionskunst vibrieren zu lassen. Guttenberg verletzt auf geniale, dämonisch schmunzelnde Art den Formalismus unserer Zeit, indem er formal die Form wahrt. Sein Sprengsatz ist das Innere des Textes, der gespiegeltes Eingeweide einer selbstverliebten und weltvergessenen Wissenschaftselite ist. Mit der Pranke des Künstlers, der alles darf, zerreißt er den elitären Seidenkokon der faustischen Kerkergesellen, er zerrt die süßmuffigdampfenden Textgespinste, die in Einweckgläsern zwischen Schrumpfköpfen und Tropfwachskerzen dämmerten, ans gleißende Licht des Pressegewitters. Hier! Hier! Hier! Text! Fragmentiert, zerissen,dekonstruiert und neu geklebt- so wie ers wohl im Grundschulkunstunterricht mit buntem Glanzpapier (neben dem Kartoffeldruck) gelernt haben mag.
Guttenberg erfindet das Rad nicht neu, er lässt es nur anders klingen! Er sammelt Worte, Buchstaben, Texte und präsentiert sie der Welt auf einer von Zeit gelösten Ebene in meditativer Suggestion. Er ist der John Cage unter den Textbaukünstlern (vielleicht schon eine mögliche Bezeichnung für die Beschreibung dieser neuen Kunst?). Versunken gleitet Text in Text,schmiegt sich,fügt sich, schmilzt und schwebt. Rastet eine, wird schwer sperrig, kratzt quietscht- nicht immer schön, aber immer anders, spannend. Fragen und Antworten zugleich stellend, Sinn gebend ,nicht suchend. Und wir? Wir suchen! Suchen Bedeutung, Sinn , Perfektion, schließlich: Fehler. Wollen Bruchstellen erkennen, den Meister überführen. Und merken nicht, wie wir uns selbst dabei überführen. Er hat uns entführt, sein Werk ist ein Erpresserbrief, an uns gerichtet. An uns alle, genauer unsere westliche Kultur. Der Titel sagt es ja: Europa/Amerika; das alte Ehepaar der Wissenschaft, der Erfindungen; das Heimatdorf der Doktoren und Professoren, die der Welt Fortschritt und Wahnsinn brachten- das sind wir: seine Rezipienten.

- Thomas Ueberle

Einen einzigen Fehler, wenngleich noch so winzig und (fast) bedeutungslos [mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Flüchtigkeitsfehler] konnte ich bedauerlicherweise doch noch entdecken - "E pluribus unum" heißt korrekt übersetzt nicht "Aus vielem eines", sondern "Aus vielen Eines". Nomen est omen, würde Titus Maccius Plautus an dieser Stelle schreiben, ich hoffe jedoch, dass der Verlag bei der Neuauflage für eine Korrektur sorgen wird.

- Think Blue

Ersetzt 1000 andere Bücher

28/12/2010

Das Fest et al.: Gefangen in der ewigen Pubertät

Ich habe gestern den dänischen Film Das Fest gesehen, denn der gilt ja allerorten als Kleinklassiker. Gut ist er freilich nicht. Visuell wirkt das Ganze, als habe jemand seine neue Handykamera ausprobiert, teils auch unter dem Einfluss von Alkohol. Ja-haaa, antwortet mancher Schlaumeier mit Abitur, das ist eben ein Dogma-Film, bei dem sich der Regisseur bewusst der Möglichkeiten der modernen Filmtechnik beraubt, um ein unmittelbares, authentisches Filmerlebnis zu schaffen. Dieses Argument ist aber so sinnvoll, als wolle man die Niederlage seiner Fußballmannschaft damit relativieren, der Trainer habe halt vielen unerfahrenen Spielern eine Chance geben wollen - verloren hat man nunmal trotzdem. Dass Dogma-Filme übrigens nicht scheiße aussehen müssen, haben ja dann später andere gezeigt.

Ärgerlicher als die stilistischen Schwächen ist allerdings der Inhalt des Films. Wir betrachten die Feierlichkeiten anlässlich des 60. Geburtstags eines wohlhabenden Familienpatriarchen, der aussieht wie Christopher Hitchens. Wie man sich schon denken kann, kommt im Laufe des Films manch' hässliches Familiengeheimnis ans Tageslicht, wobei Autor und Regisseur diejenigen Themen auffährt, auf die auch ich gekommen wäre, wenn ich mich hingesetzt und gesagt hätte: "Jetzt woll'n wa mal ordentlich provokativ sein!" - Gewalt, Kindesmissbrauch, Abtreibung, Rassismuss. Die Schlechtigkeit und Verlogenheit des Bürgertums wird angeprangert, dass die Schwarte kracht.

Ich bin 1972 geboren. Seit ich Film- und Fernsehwerke betrachte, die nicht speziell für Kinder gemacht sind, werden mir Produkte entgegengeworfen, in denen das scheinbar respektable Bürgertum demaskiert wird. Ich finde, die Schlechtigkeit und Verlogenheit des Bürgertums ist austhematisiert; die Kunst darf sich jetzt anderen Themen zuwenden.

Dass die Demaskiererei aber kein Ende nimmt, legt den Schluss nahe, dass die Kunst einen überproportionalen Anteil derjenigen anzieht, der auch deutlich jenseits der Zwanzig - mitunter gar im hohen Alter - die Pubertät noch nicht überwunden haben. Ewig müssen sie sich an Autoritätsfiguren abarbeiten, wobei die Ironie, dass dies häufig unter Entgegennahme von Geldern von Vater Staat geschieht, komischerweise nie thematisiert wird. Wäre man psychoanalytisch orientierter Marxist, könnte man die Hypothese aufstellen, dass der Staat hier unerwünschte destruktive Energien in Bahnen leitet, in denen sie das Funktionieren des Systems nicht weiter stören.

Ich finde, es sollten für mindestens zwanzig Jahre keine Filme mehr subventioniert werden, in denen das Bürgertum demaskiert wird, denn ein Vierzigjähriger, der immer nur erzählt, dass Papa voll gemein war, ist nicht weniger peinlich als ein Vierzigjähriger, der Baseballkappen mit dem Schirm zur Seite trägt, obwohl er schon reichlich graue Haare hat. Wenn aber unbedingt demaskiert werden muss, dann könnte man mal die Heuchelei im Bau- und Fließbandarbeitermilieu anprangern. Oder was erzählen über Doppelmoral im Filmemeachermilieu, da bietet die jüngste Geschichte ja hinreichend Inspiration.

05/08/2010

Letztlich gelesen

Haruki Murakami: Tanz mit dem Schafsmann Die Fortsetzung von Wilde Schafsjagd, die wunderliche Begebenheiten, junge Mädchen und überhaupt alles enthält, was ein Murakamiroman braucht, ist ein weiteres Beispiel für die Regel, dass der zweite Teil meist schwächer als der erste ist. (7)

Stieg Larsson: Verdammnis Stilistisch mäßig, aber gekonnt geplottet. Flach, aber unterhaltsam. Dick, aber schnell gelesen. (7)

Franz Kafka: Das Schloß Langeweile, Ereignislosigkeit und Stillstand ausführlich so darzustellen, dass der Text selbst nicht langweilig wird, ist die vielleicht größte Herausforderung, die es in der Literatur gibt (s. früherer Post). Das Schloß handelt davon, dass der Protagonist über dreihundert eng bedruckte Seiten lang aus auf die Dauer etwas monoton werdenden Gründen - SPOILER! - erfolglos versucht, ins Schloß zu kommen. Dazu kommt, dass Kafkas Stil zwar auf einfache Weise sehr elegant, aber eben etwas schmucklos ist. Zur Auflockerung des Buches alle fünf Seiten eine Explosion, eine Attacke feindlich gesinnter Außerirdischer o.ä. - das hätte vielleicht geholfen. (Für den eiligen Leser habe ich hier ein Zitat, dass den Roman eigentlich super zusammenfasst.) (5,5)

Rocko Schamoni: Sternstunden der Bedeutungslosigkeit Der plotarme Text zur Feelgood-Trias Arbeitslosigkeit, Depression, Alkohol macht stilistische Schwächen durch Themenkenntnis wett. (6,5)

Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker Dürrenmatts Kriminalromänchen besticht weniger durch Spannung denn durch eine zumindest mir sehr angenehme schweizerische Fünfziger-Jahre-Gemütlichkeit. (7)

Robert Schneider: Schlafes Bruder Der offensichtlich von Patrick Süskinds Parfüm inspirierte Kurzroman ist stilistisch ab und an etwas zu bemüt urwüchsig-unmodern, unterhält aber durch flotten Fortgang der Handlung in einem zumindest in den von mir gelesenen Büchern nicht häufig behandelten Milieu. Brauchen wir mehr Bücher über Bergbauern? (6,5)

Philippe Djian: Doggy Bag Eins Liebe, Intrigen, Gebrauchtwagen. Irgendwo im Niemandsland zwischen der angestrebten "Soap im Roman-Format" (was für eine Kackidee!) und den Büchern, die Djian in den Achtzigern zu Recht zu dem machten, was man heute einen Kultautor nennen würde. (6)

Michael Ondaatje: Die Kunst des Filmschnitts Ein dreihundert-Seiten-Interview mit Walter Murch, dem Cutter von Apocalypse Now und Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Klingt rasend langweilig, ist es aber keineswegs. (Hier zitiert) (7)

10/05/2010

Letztlich gelesen

1. Philippe Djian: In der Kreide. Djians dünner Band über die Autoren, die ihm am teuersten sind, ist trotz der mitunter überschwappenden, bereits aus seinen Romanen bekannten Schriftstellermythik durchaus ein Genuss. Auch für die U-Bahn geeignet. (7.5)

2. Katz und Goldt: Das Salz in der Las-Vegas-Eule. Hier ist die Leseprobe "Ein besonders lästiges Service-Unternehmen". Der Rest des Buches ist so ähnlich. (7.5)

3. Roberto Bolaño: Der Teil der Kritiker. Der erste Teil des Monnumentalwerkes 2666, der, wie die anderen vier Teile auch, nach Bolaños Willen separat hätte erscheinen sollen, dreht sich um vier Germanisten, Experten für den Schriftsteller Benno von Archimboldi, der sich nie in der Öffentlichkeit zeigt. Sie schlafen miteinander in verschiedenen Konstellationen und machen sich schließlich auf nach Amerika, um den mysteriösen Autoren zu finden. - Der Text leidet mitunter unter allzu clever-ironischer Distanziertheit des Erzählers zum Gegenstand, unterhält aber trotzdem rechtschaffen. (6.5)

28/09/2009

Around the Blogs, Vol. 30

1. Pinin' for the fjords

2. I considered writing something about how various people made asses of themselves commenting on the recent arrest of Roman Polanski. But Kieran Healey's already pretty much expressed my opinion, although I don't think I would have brought the Irish into it.

3. Fake or not fake? I say fake.

4. Wir sind Pub.

Höhepunkte des Deutschen Politikjournalismus

[19.55] Und was sagt Barack?

ARD-Mann Ulrich Deppendorf fragt die USA-Korrespondentin Hanni Hüsch, wie denn in Amerika die Kommentare zur deutschen Wahl lauten. "Es gibt noch keine", sagt Hüsch.
Aus dem Wahl-Liveblog von SpOn.

26/09/2009

Die deutsche Kultur

I Musik
Wer wegen der ärmlichen Medienlandschaft nie Gelegenheit hatte, gute Soul-Sänger zu hören, der wird nichts Anstößiges daran finden, wenn im Fernsehen bemitleidenswerten deutschen Vorstadtjugendlichen, die auf eine Weise, die man nur als hartnäckig, verbissen oder eisern bezeichnen kann, auswendig gelernte Blues- und Gospelprhrasierungen herunterexerzieren wie eine unverstandene Schiller-Ballade, attestiert wird, sie hätten "wahnsinnige Soul-Stimmen".
- Max Goldt*

II Film
Germany produces plenty of mass-market comedies and dramas for just plain folks. The problem is that movies that are supposed to tackle 'ambitious' themes often turn out so dreary.

People in the German film industry tell me there's a norming process that controls access to German film subsidies. Directors have to convince committees of tastemakers to fund their projects. The filmmakers themselves, and the tastemakers, have strong preferences and prejudices. They consider themselves proudly allergic to "Hollywood" -- which they associate with Ken and Barbie actors, canned happy endings, staged dramatic confrontations, stereotyped confrontations between good and evil, unnecessary explosions, action-movie cliches, etc. They're looking for interpersonal drama, for social commentary, for moral ambiguity -- "anti-Hollywood" qualities. In fact, I've personally seen film scripts that have come back to aspiring directors with passages marked "too Hollywood."

The problem, according to my sources, is that a lot of these tastemakers and directors eventually come to stamp the dreaded "Hollywood" label on any enhanced storytelling technique -- such as suspense, or a happy ending, or a voice-over. Endings in which everything turns out basically OK will be choppped and replaced with ambiguous fade-outs. Pleasant, likable characters who we're supposed to identify with will be criticized as too "one-sided" or "subjective." Humor that's considered too broad (by stuffy Bildungsbuerger) will be squelched. The end result of this process is films that end up bland and wishy-washy even when they're supposed to be provocative.

- Andrew Hammel


III Sprache

Eine Pastorin, der im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Sendezeit gegeben worden war, hörte ich heute morgen folgenden Ausdruck benutzen:
den Seelenanker werfen
Ich habe nicht genau hingehört, aber ich glaube, es sollte eine Metapher für das Beten sein. In einem Liedtext der Gruppe Pur kommt es zu der Wortkombination "Seelen aneinander reiben".

IV Zusammenfassung

Gleich drei gute Gründe, Sui- und/oder Homizid zu begehen. Das kann ja ein lustiges Wochenende werden!

______
*"Die Stabilität der Tomatenschelte", S. 135-43 in: ders.: QQ, Reinbeck: Rowohlt, hier S. 140

29/08/2009

Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann (auch eine Anleitung dazu, wie man Bestseller schreibt)

Geschichten wisse er keine, sagte Humboldt und schob seinen Hut zurecht, den der Affe umgedreht hatte. Auch möge er das Erzählen nicht. Aber er könne das schönste deutsche Gedicht vortragen, frei ins Spanische übersetzt. Oberhalb aller Bergspiten sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein.

Alle sahen ihn an.

Fertig, sagte Humboldt.

Ja wie, fragte Bondpland.
Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt, eine teilfiktive Doppelbiographie von Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt ist ein humorvolles, in tadellosem Deutsch abgefasstes und fast immer kurzweiliges Buch (7/10). Das erklärt freilich nicht seinen Erfolg. In einem Interview gibt der Autor zunächst an, "überhaupt keine Erklärung" dafür zu haben und verweist dann noch auf die Beliebheit des Romans bei Landvermessern. Tyler Cowen meint:
A best-seller and critical rave in Germany, but it is dull. Did it succeed because Germans are overreacting to a "normal" (read: non-Nazi) novel about their history?
Die These scheitert freilich daran, dass es auf dem nicht umfangarmen deutschen Buchmarkt zahlreiche nazifreie Romane über die deutsche Geschichte zu erwerben gibt, die keineswegs alle so erfolgreich sind wie Kehlmanns Buch.

Hier der wahre Grund: Die Vermessung der Welt kommt einerseits als schwer intellektuelles Buch daher - Gauß! Humboldt! - ist andererseits aber lediglich eine Anekdötchensammlung, die leichter zu lesen ist als ein Thriller von Dan Brown. Nicht abwegig wäre es daher, jemanden, der sich in der U-Bahn mit Kehlmanns Buch zeigt, zu vergleichen mit einem Pfau, der einen äußerst elaborierten Schwanz präsentiert, welcher sich jedoch bei näher Betrachtung als Hologramm herausstellt, dessen Betrieb keinerlei Energie erfordert.

Endlich einmal ein Fall, in dem das Wort "pseudointellektuell" passt.

16/08/2009

Mischmetapher des Monats

Das ist Peer Steinbrück, das Thema ist: Inflationsgefahr nach der Wirtschaftskrise. Zumindest dem Kontext nach zu urteilen; ich habe keine Ahnung, was der Mann sagen will.

24/06/2009

Die Chinesisch-Eltern

Aus einem Artikel in der Süddeutschen* (nicht online):
Wir hatten ein Jahr lang ein Au-pair-Mädchen. Zuzanna, genannt Susi, aus Tschechien. Sehr nett. Freunde fragten, warum denn nur aus Tschechien? Die kommenden Sprachräume seien Indien oder China. Das hatten wir nicht bedacht. Wir wussten nicht, das ein chinesisches Au-pair für unsere Kinder einen entscheinden Wettbewerbsvorteil darstellen kann. Die Globalisierung schläft nicht. Die Eltern versammeln sich regelmäßig, um die Entwicklung ihrer Kinder unter Globalisierungsaspekten zu besprechen.
Häufig liest man in der Presse Artikel von jungen Eltern, welche z. B., wie im oben zitierten Text, Bilanz ziehen, nachdem ihr Kind vier Jahre lang die Grundschule besucht hat. Ob Stern, Zeit oder Süddeutsche - der Leser kann sich darauf verlassen, dass in dem Artikel abschätzig derjenige Typus Eltern erwähnt wird, den man in Anlehnung an obiges Zitat die Chinesisch-Eltern nennen könnte. Niemals habe ich einen Artikel gefunden, in dem ein Vater oder eine Mutter argumentiert, dass es für den jetzt noch jungen Nachwuchs später einmal von großem Vorteil sein werde, bereits als Kind Chinesisch gelernt zu haben - eine Position übrigens, die ja so absurd nun nicht ist. Die Chinesisch-Eltern scheinen in Deutschlands Presse nur in der dritten Person zu existieren.

Ich bezweifle nicht, dass es diese Leute gibt. Träfe ich solche Personen, würde ich gern meine Meinung in das Gespräch einfließen lassen, dass es sich bei Kindern nicht bloß um Potentiale, sondern bereits um vollwertige Menschen handelt; Menschen obendrein, die sehr leicht unglücklich zu machen sind. Jedoch scheint die Häufigkeit, mit der die Chinesisch-Eltern in deutschen Zeitungsartikeln auftauchen in keinem Verhältnis zu stehen zu ihrem Auftreten in der Wirklichkeit. So kann man sagen, dass sie im kollektiven Bewusstsein den Platz des klassischen Spießers eingenommen habe, der abends beim Bier, unter der Darstellung eines röhrenden Hirsches sitzend, gegen Studenten und Ausländer wettert. Diese Menschen gab es bekanntlich auch, und es war grundsätzlich keineswegs falsch, gegen sie zu sein. Die Funktion der Figur des Spießers wie auch der der Chinesisch-Mutter oder des Chinesisch-Vaters scheint jedoch hauptsächlich zu sein, dass der Leser sich ohne größeren Aufwand überlegen fühlen darf. Das finde ich etwas billig.

*Gerhard Matzig: "Am Start: Vier Jahre lang Grundschule im staatlich apokalytischen bildungssystem, vier Jahre Zittern und Bangen und Hoffen: eine Bilanz", Süddeutsche Zeitung, 16./17. Mai 2009: S. V2/1

05/06/2009