24/06/2009

Die Chinesisch-Eltern

Aus einem Artikel in der Süddeutschen* (nicht online):
Wir hatten ein Jahr lang ein Au-pair-Mädchen. Zuzanna, genannt Susi, aus Tschechien. Sehr nett. Freunde fragten, warum denn nur aus Tschechien? Die kommenden Sprachräume seien Indien oder China. Das hatten wir nicht bedacht. Wir wussten nicht, das ein chinesisches Au-pair für unsere Kinder einen entscheinden Wettbewerbsvorteil darstellen kann. Die Globalisierung schläft nicht. Die Eltern versammeln sich regelmäßig, um die Entwicklung ihrer Kinder unter Globalisierungsaspekten zu besprechen.
Häufig liest man in der Presse Artikel von jungen Eltern, welche z. B., wie im oben zitierten Text, Bilanz ziehen, nachdem ihr Kind vier Jahre lang die Grundschule besucht hat. Ob Stern, Zeit oder Süddeutsche - der Leser kann sich darauf verlassen, dass in dem Artikel abschätzig derjenige Typus Eltern erwähnt wird, den man in Anlehnung an obiges Zitat die Chinesisch-Eltern nennen könnte. Niemals habe ich einen Artikel gefunden, in dem ein Vater oder eine Mutter argumentiert, dass es für den jetzt noch jungen Nachwuchs später einmal von großem Vorteil sein werde, bereits als Kind Chinesisch gelernt zu haben - eine Position übrigens, die ja so absurd nun nicht ist. Die Chinesisch-Eltern scheinen in Deutschlands Presse nur in der dritten Person zu existieren.

Ich bezweifle nicht, dass es diese Leute gibt. Träfe ich solche Personen, würde ich gern meine Meinung in das Gespräch einfließen lassen, dass es sich bei Kindern nicht bloß um Potentiale, sondern bereits um vollwertige Menschen handelt; Menschen obendrein, die sehr leicht unglücklich zu machen sind. Jedoch scheint die Häufigkeit, mit der die Chinesisch-Eltern in deutschen Zeitungsartikeln auftauchen in keinem Verhältnis zu stehen zu ihrem Auftreten in der Wirklichkeit. So kann man sagen, dass sie im kollektiven Bewusstsein den Platz des klassischen Spießers eingenommen habe, der abends beim Bier, unter der Darstellung eines röhrenden Hirsches sitzend, gegen Studenten und Ausländer wettert. Diese Menschen gab es bekanntlich auch, und es war grundsätzlich keineswegs falsch, gegen sie zu sein. Die Funktion der Figur des Spießers wie auch der der Chinesisch-Mutter oder des Chinesisch-Vaters scheint jedoch hauptsächlich zu sein, dass der Leser sich ohne größeren Aufwand überlegen fühlen darf. Das finde ich etwas billig.

*Gerhard Matzig: "Am Start: Vier Jahre lang Grundschule im staatlich apokalytischen bildungssystem, vier Jahre Zittern und Bangen und Hoffen: eine Bilanz", Süddeutsche Zeitung, 16./17. Mai 2009: S. V2/1

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