17/06/2011

The Tree of Life: Eine Filmkritik

Terence Malick, Autor und Regisseur von The Tree of Life, hat in den siebziger Jahren mit Badlands einen Film vorgelegt, der vielen als Klassiker gilt, vielleicht, weil er es schafft, über seine gesamte Länge auf dem gar nicht mal so schmalen Grat zwischen Schönheit und Langeweile zu wandeln. Der neue Film, so viel ist offensichtlich, war gleich von vornherein als Meisterwerk angelegt; das Thema ist Gott (unter besonderer Berücksichtigung der Erdgeschichte). Das ist zunächst mal ein angenehmer Gegensatz zu den Ambitionen der meisten zeitgenössischen Künstler, die gerne z.B. von der kleinen bis mittelgroßen Liebe im Buchhaltermilieu erzählen. Doch wer hoch springt, kann tief fallen, und Malick fällt sehr tief. Er fällt und fällt, und während er fällt, geht ihm die Hose auf, der Pimmel kuckt raus; dennoch versucht er ein vorbeifallendes Weltgewicht zu stemmen und klemmt sich dabei den Ischias, weshalb er nicht bemerkt, dass er zwischenzeitlich eine Zwölffinger- und Enddarm-Kreuzverschlingung entwickelt hat, und als er schon längst auf der Erde angekommen und in zahlreiche Teile zerplatzt ist, da explodieren ihm auch noch die Schnürsenkel.

Es geht eigentlich ganz vielversprechend los: Die U.S.A., fünfziger Jahre, ein Kind stirbt, die Eltern trauen. Aber dann kommt erst mal Kontext per Rückblende, und dabei holt Malick ganz weit aus: Los geht es mit dem Urknall. Ich denke mir das nicht aus: Es geht wirklich mit dem Urknall los, Sterne explodieren, Lavaströme, trallala. Das ist drei Minuten lang ganz nett anzuschauen, aber diese Vorgeschichte dauert, schätze ich mal, etwa 40 Minuten; und spätestens als er in der Evolutionsgeschichte bei den Fischen angelangt ist, kommt sich der Zuschauer vor, als sei er eingeschlossen in einem Kabuff mit allen alten Ausgaben der Reihe GEO Spezial Natur & Kosmos, die er für immer durchblättern muss, und von links säuselt ihm eine gutmütig lächelnde alte Frau ins Ohr: "Gott ist Liebe" und zwei Minuten später: "Glaube mir, Gott ist die Liebe und das Licht!"

Nicht nur mir ist aufgefallen, dass das Modell für dieses Endlosvorspiel der erste Teil von Stanley Kubricks 2001 ist, in dem Kubrick die Raumfahrt in den menschheitsgeschichtlichen Kontext stellt, indem er erzählt, wie unsere Vorfahren das Prinzip des Werkzeugs entdecken: Ein Knochen wird nutzbar gemacht, um die Schädel von Konkurrenten um ein kostbares Wasserloch zu zertrümmern, triumphierend wird der Knochen in die Luft geworfen, und im bekanntesten Schnitt der Filmgeschichte scheint er sich in ein Raumschiff zu verwandeln. Bei seinem Versuch, mit Kubrick zumindest gleichzuziehen, hat Malick freilich etwas ganz entscheidendes übersehen: Kubrick, eine Art Ernst Happel des Kunstkinos, hat seine Sequenzen mit einer außerordentlichen Formenstrenge komponiert; Malicks Erdgeschichte wirkt wie eine Zufallsauswahl aus Sequenzen derjenigen Filmchen, mit denen die Hersteller von Plasmabildschirmen dem potentiellen Käufer zu demonstrieren suchen, dass die alte Röhrenkiste jetzt aber echt ausgedient hat. Zum Niveau der Bilder passt die Musik: Es steht zu vermuten, dass sämtliche zu hörenden Stücke einer CD namens "Die 20 schönsten Klassikmelodien" entnommen sind, die Malick per Telefon erstand, als er 1995 während eines Besuches auf unserem Kontinent nachts besoffen die Dauerwerbesendungen auf Eurosport gekuckt hat. Nicht so leicht erhältlich wie schlechte CDs sind bei uns Feuerwaffen, so dass man nicht Gefahr läuft, sich spontan im Kino zu erschießen.

So schafft man es bis zur Kerngeschichte. Also: Die Suburbs von Waco, Texas, in den fünfziger Jahren, eine Familie: Er Ingenieur und Pater Familias, sie Hausfrau mit großem Herzen, drei Söhne. Sein Erziehungsstil schwankt zwischen konservativ und sadistisch. Er erzählt den Söhnen, wie Leben geht: Immer besser werden wollen, sich nie auf andere verlassen, und immer wieder das Motto aus der Praktiker-Werbung: "Geht nicht gibt's nicht!" Wir erfahren auch bald, warum: Er wäre lieber Musiker geworden, hat aber als Kind nicht genug geübt, und jetzt müssen sich die Söhne sein Geschwaller anhören. Zwischendurch werden sie von ihm schickaniert, dass die Schwarte kracht, wahrscheinlich zur Abhärtung.

Der älteste der Söhne, selbst Inhaber eines nicht geringen Aggressionspotentials, lehnt sich auf. Dass das nicht direkt ins Happy End führt, wissen wir daher, dass er zwischendurch als Erwachsener gezeigt wird, wie er sich in einem grauen Büroturm umherbewegt. Sprechanteile hat der erwachsene Sohn, soweit ich mich erinnere, überhaupt keine, und daher muss man sagen, dass die Rolle mit Sean Penn idealbesetzt ist. Wenn der seine Furchenfresse in die Kamera hält, denkt jeder gleich: "Kombiniere! Vom Leben gezeichnet!"

Einen richtigen Plot hat der Film nicht, er ist vielmehr nach der Methode "Schlaglicht und Ellipse" erzählt. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn die Schlaglichter denn interessant wären. Mancher Kritiker hat den Film dafür gelobt, dass er das Phänomen Jungskindheit total authentisch darstelle. Das ist nicht unbedingt falsch, ich habe mich in meiner Kindheit zum Beispiel auch an Sachen erfreut, die Krach machten und verboten wären. Das heißt aber nicht, dass ich es rasend spannend finde, Kindern dabei zuzukucken, wie sie Fensterscheiben einwerfen.

Mitunter keimt im Zuschauer Hoffnung auf: Es könnte interessant werden! Der Vater fährt mit den Söhnen in ein Schwarzenviertel und ermahnt sie zur Anständigkeit gegenüber Schwächeren. Strafgefangene werden in Ketten durch die Stadt geführt, ein Sohn fragt: "Kann das jedem passieren?" Und dann bricht es ab.

So ist es auch gegen Ende der Geschichte: Der Vater wird, man kann es sich denken, entlassen. Dies führt bei ihm zu einer Art Nachdenken über seinen Erziehungsstil. Auch das währt aber nur zwanzig Sekunden. Dann wird der Bildschirm schwarz, ein Licht (Gott?) flackert, Sterne, und der Zuschauer denkt: Nich schon wieder! Diese Hoffnung ist vergeblich.

Das Gottes- und Schöpfungsbrimborium im letzten Teil des Films mündet in eine Szene, in der der erwachsene Sohn seinen nichtgealterten Vater an einem wolkenüberhangenen Strand trifft und entweder umarmt oder dies nur "mit den Augen tut", ich kann mich zum Glück nicht erinnern. An dem Strand wandeln, suchend, noch eine ganze Menge anderer Leute, vermutlich stellvertretend für die gesamte Menschheit: Symbolik auf dem Niveau von Lieschen Müller und ihrem Sohn Kevin-Justin. Das Ganze wirkt wie eine Parodie auf Religion aus der Bullyparade.

Man muss vielleicht religiös sein, um den Film gut zu finden, oder zumindest, vielleicht sogar noch besser: spirituell. Es darf aber nicht irgendeine Religiösität sein. Vielmehr:

"Du, kuck mal, der Käfer auf dem Blatt da!"

"Ja, schön, nicht? Irgendwie ist in dem Käfer Gott!"

"Ja, stimmt! . . . Au, au, kuck doch mal!"

"Oh, jetzt hat der Spatz den Käfer gefressen!"

"Ja, traurig. Aber irgendwie hat das auch seinen Sinn."

"Ja, stimmt. Komm, wir trinken noch einen Merlot."

"Ja. In Merlot ist Gott auch, irgendwie."

Ungefähr so.

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